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  • AutorenbildMichi

Schwierige Entscheidungen


Letzte Woche haben wir den Geburtstag meiner Tante gefeiert und es waren auch alte Freunde dabei und wie es so ist, ging es auch um die Verstorbenen, die an solchen Tagen einfach fehlen.

Eine Freundin meiner Tante fragte, wie lange mein Vater bereits tot sei und erinnerte sich an seine Beerdigung an einem Fastnachtsfreitag und fragte uns, wie das damals eigentlich war.


Mein Vater ist bereits vor 16 Jahren verstorben, zwei Tage vor meinem Geburtstag und zwölf Tage vor seinem 62. Ja, es war ein Fastnachtsfreitag, das Wetter war gut, es gab närrisch-gefärbte Blumensträuße, viele Menschen und dieses Familiengrab in Nackenheim. Dort hat er zeitweise gelebt, war als Fastnachter aktiv, hat Zuckmayer gespielt und Freunde gehabt.

Wie war das damals? Ich kann es gar nicht mehr sagen – ich habe es erfolgreich verdrängt.


Was mir einfällt ist, dass ich fast ins Grab gefallen bin, viele uns trotz Bitte es nicht zu tun, kondolierten, wir uns zumindest für Blumen statt Erde entschieden hatten, meine Mam ihr Lieblingsarmband am Grab verloren hat und das war es. Ich schaue meine Tante, die Schwester meines Vaters über den Tisch hinweg an und sie schüttelt zaghaft den Kopf. Sie hat auch kaum eine Erinnerung.

Wir sind uns einig: Für meinen Vater, der diesen kleinen Weinort mochte, war es richtig. Viele konnten dort Abschied nehmen, er liegt bei seinen Eltern in einem klassischen Familiengrab. Und für uns? Ich sehe wie wir nach dem Tod meines Vaters am Küchentisch meiner Tante sitzen und ich meine Mam zum ersten Mal wirklich richtig weinen sehe. Der Bestatter ist der Nachbar, der meinen Vater seit Jahrzehnten kannte. Die Todesanzeige ist die unsere, alles andere ist Trauer, Schmerz und Konventionen geschuldet.


Wie so vieles war der Tod kein Thema, als meine Mam erkrankte. Aber eines Abends hat sie doch meine Tante angerufen und ihr zumindest sehr knapp gesagt, was sie wollte und was nicht, zumindest ungefähr. Sie wollte am liebsten in alle Winde verstreut werden, was schwer möglich ist und sie wollte nicht ins Familiengrab, denn das war nicht ihr Ort.

Was macht man in diesem Fall? Wir sind keine „Grab-Menschen“. Meine Trauer und meine Erinnerungen waren nie an einen solchen Ort gebunden, auch die meiner Mam oder meiner Patentante nicht. Andere benötigen genau das: ein Grab, als Ort, an dem man sein kann, um den man sich kümmert, wo man trauert …

Ich habe wie bei so vielen Entscheidungen in dieser Zeit in mich hineingespürt. In Nackenheim habe ich Mam einfach nicht gesehen, dafür konnte ich sie auf dem Waldfriedhof sehen, umgeben von Natur und Eichhörnchen, geschützt von einem Baum. Wir haben uns also für ein Baumgrab und gegen eine klassische Beisetzung mit Gottesdienst entschieden, weil ich das immer schon gruselig fand. Wir hatten eine kleine Trauerandacht. Ein lieber Freund war bereit, mir meinen Wunsch zu erfüllen und zu sprechen und entgegen aller Befürchtungen, habe ich selbst die Trauerrede gehalten, denn das war ich ihr schuldig, auch wenn es mich alles gekostet hat.

Es ist nicht so, dass die Menschen in diesem Moment direkt sagen, was sie denken, aber die Bedenkenträger sind trotz allem hör- und spürbar. Kein Gottesdienst? Keine „typischen“ Kirchenlieder? Nicht beim Papa, sondern an einem anderen Ort und dann einfach unter einem Baum ohne Grabstein, ohne alles? Kein Foto von ihr, sondern ein Bild von ihr, das sie selbst gemalt hat und überhaupt …


Reinen Gewissens, mit besten Absichten und in Liebe – das waren meine Entscheidungskriterien und dazu die Meinung der nächsten Familienmitglieder. So haben wir es gemacht und nicht nur, dass ich nichts davon bereut habe, besser noch: es war schön – und es hat auch den anderen gut gefallen! Weil es sich richtig angefühlt hat, weil es stimmig war, weil man bei 40 Grad nicht zwingend schwarze Kleidung benötigt und meine Mam selbst ganz bunt war, weil die Atmosphäre auf dem Waldfriedhof anders ist, weil der Weg, den man gemeinsam bis zum Baum geht dauert und so Gespräche und Schweigen ermöglicht, Händchenhalten, sich stützen, weinen und trauern.


All das geht mir durch den Kopf an diesem Geburtstagstisch und ich sehe meinen Tanten an, dass sie ebenfalls daran denken und ein Lächeln ihre Lippen umspielt. An diese Beisetzung können wir uns erinnern und tun es gerne!

So unterschiedlich wir Menschen in unserer Trauer sind, so unterschiedlich sind auch Abschiedsrituale. Wichtig ist, dass sie sein dürfen und nicht nur die eventuellen Wünsche der Verstorbenen bedacht werden, sondern auch für die Lebenden ein passender Rahmen geschaffen wird, der uns trägt und stützt. Diese Möglichkeit und viel Kraft wünsche ich allen, die in dieser Situation sind.


In diesem Sinne habt es fein, bleibt gesund und voller Vertrauen – Rock 'n' Roll & Ommm Michi


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