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  • AutorenbildMichi

Mein fabelhaft moderner Vater

Diese Woche kam die erste große Lieferung für die Ladeneinrichtung meines Wollgeschäfts mit unfassbar vielen Regalen, die es aufzubauen gilt. Ich gebe gerne zu, als die beiden Spediteure fertig abgeladen hatten, habe ich auch kurz geschluckt und ganz tief durchgeatmet, denn es ist schon viel, was da so auf drei Paletten kam. Aber ich freue mich auch riesig, denn dadurch wird mein Traum realer und greifbarer. Zudem muss ich mir dankbarerweise keinen großen zeitlichen Druck mit dem Aufbau machen, was die Situation deutlich entspannt.

Eine liebe Freundin hatte sich zudem für Freitagnachmittag direkt angesagt und ich freute mich schon auf ihre Hilfe (die fabelhaft war – 1000 Dank, Du Schatz!). Für mich bis hierhin alles normal: Ich weiß gar nicht, wie viele Regale und Möbelstücke ich in den letzten 30 Jahren aufgebaut habe, mal alleine, mal mit Hilfe – und nicht selten mit anderen Frauen. Ihr ahnt vielleicht schon, worum es heute geht…


Tatsächlich höre ich in diesem Kontext direkt vor Ort den Hinweis, dass da aber noch jemand helfen müsse, denn das ginge nicht alleine (Blick auf mich, als Frau). In diesem Moment stehe ich mitten im Laden, habe eine Seitenwand eines Regals im Arm und hinter mir stehen bereits zwei fertig aufgebaute … muss ich noch etwas sagen? Und noch lieber ist mir der Einwand eines anderen Mannes, ob das gutgehen könne, „wenn zwei Weiber versuchten, Regale aufzubauen“.

Wow, welcome 2021!

Ich bin nicht allzu zartbesaitet, aber ich weiß A) nicht, wann ich als letztes als Weib bezeichnet wurde und die Herablassung so spürbar war und B), wie hartnäckig sich ein solches Machogehabe halten kann. Was ich definitiv merke ist, dass mich das echt triggert und ich es unfassbar finde, dass da einige noch immer ganz weit hinten im Kleiderschrank ihrer Klischees und Rollenvorstellungen sitzen.


Was ist denn da los?

Ich stand in meinem Ladenchaos, habe mich umgeblickt und dann losgelegt, immer dabei mein Werkzeugkoffer – und zwar mein erster, den mir mein Vater zum Auszug geschenkt hat, damit ich gewappnet bin. Während ich Regale auspacke, Schrauben sortiere und mit dem Aufbau beginne, lasse ich meine Gedanken zu meinem Vater schweifen. Er starb bereits 2005 und gerade vor dem Hintergrund des Verlusts meiner Mam vor knapp zwei Jahren, scheint es eine Ewigkeit her zu sein, seit ich ihn an meiner Seite hatte.


Er war Jahrgang 1943, eine Frohnatur und ein Gesellschaftstier, der das Leben liebte und bereits ganz früh, schwer erkrankte. Vor allem aber und das wird mir gerade nochmal so deutlich bewusst, war er ein cooler Typ und ein moderner Vater und Ehemann. Bei uns ging es nie darum, ob Mann oder Frau, hier haben immer schon alle mitangepackt, gemeinsam renoviert, tapeziert, geschleppt, gestrichen, gewerkelt … Mein Vater hat die beste Paella gemacht und war der Marmeladen- und Saftmeister, er konnte kochen und tat es auch. Von ihm habe ich die Liebe zum Wasser geerbt, er hat mich schwimmen gelehrt, ist mit mir geschnorchelt, hat mir beigebracht, wie man mit Hammer und Bohrmaschine umgeht und als ich meinen Führerschein hatte, hat er mich Reifen wechseln lassen, bevor ich losdurfte, weil er wollte, dass ich mir selbst helfen konnte, wenn ich hier auf dem Land mal liegenbliebe. Er war auch derjenige, der mir seinen Autoschlüssel in die Hand drückte, als ich mein Auto geschrottet hatte und mich aufforderte, mit seinem Auto in die Stadt zu fahren. Ich weiß noch genau, wie ich auf der Autobahn geheult habe, aber ich habe mich der Angst gestellt – und bin ihm bis heute dankbar für dieses Vertrauen und die Ermutigung direkt wieder zu fahren.


Mein Vater war sicher kein Heiliger, aber wenn ich jetzt so an ihn denke, lächele ich und weiß, er wäre stolz auf seine Tochter und er würde mindestens so breit grinsen wie ich, als meine Freundin auf den Laden zuschlendert – mit einem zweiten Akkuschrauber in der Hand. Vor allem aber lächele ich, weil ich rückblickend unglaublich dankbar bin, dass es bei uns nie darum ging, dass man etwas aufgrund seines Geschlechts nicht gekonnt hätte.

Entsprechend lege ich momentan abends ganz bewusst meinen Lieblingsakkuschrauber, der ein letztes Geschenk meiner Mam und besonders handlich ist, in die Werkzeugkiste meines Vaters: ein verdammt gutes Gefühl!


Der Ladenaufbau wird noch andauern und ich berichte euch gerne davon, wenn das Ganze steht.

Bis dahin habt es fein, bleibt gesund und voller Vertrauen – Rock 'n' Roll & Ommm Michi


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