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  • AutorenbildMichi

Der Tag, als sie verschwand …

Ich wollte euch ja erzählen, was die letzten Monate so passiert ist, was ich gemacht und gelernt habe, aber heute ist ein besonderer Tag – und auch darüber möchte ich sprechen, weil ich es mittlerweile (halbwegs) kann und ich es wichtig finde …


Heute vor zwei Jahren habe ich einen der schlimmsten Anrufe meines Lebens bekommen: Meine Mam war zu diesem Zeitpunkt bereits seit vier Monaten in der Klinik bzw. in Behandlung mit ihrer Leukämie. Sie hatte Chemos überstanden, sich berappelt und voller Hoffnung ihre Stammzelltransplantation erhalten. Es folgten Tage der Euphorie und Freude, Tage der wieder möglichen Besuche eines erweiterten Kreises von Freunden und optimistischen Plänen, die sie schmiedete.

Doch knapp zwei Wochen nach der Transplantation machte die Lunge wieder Probleme, sie war schrecklich müde, konnte kaum die Augen aufhalten und war nur bedingt ansprechbar. Donnerstag war sie völlig schlapp, sprach kaum, wir hielten Händchen, ich verabschiedete mich wie immer, küsste sie, sagte „Kuss-Kuss“ und sie formte die Lippen zu einem Kussmund, bevor sie wegdöste.

Ich weiß noch, wie ich in der Zwischenschleuse stehenblieb und noch einmal innehielt, eine Hand gegen die Glasscheibe, Blick auf sie gerichtet, hab dich lieb, bange Angst im Herzen.


Am Freitagmorgen saß ich in einer Sitzung mit etlichen Kolleg:innen, als eine Nummer der Uniklinik mich anrief. Nicht gut! Ich hechtete aus dem Raum und ein Herr sagte mir, dass meine Mutter noch in der Nacht auf die Intensivstation gebracht worden war und nun im Koma läge. Die Lunge und auch das Herz hatten sich massiv verschlechtert. Ich könne in einer halben Stunde bei den Kollegen auf der Intensiv anrufen, um weiteres zu besprechen. Keine Ahnung wie ich es ins Zimmer einer befreundeten Kollegin geschafft habe, ich weiß nur, dass ich an der Tür herunterrutschte und nur noch weinte. Der nächste Anruf machte es nicht besser: Besuchszeiten auf Intensiv sind 15-17 Uhr und aktuell konnte man mir nichts sagen. Es war ungefähr halb 11 am Vormittag!

Ich kann euch nicht sagen, wie schrecklich lange die Stunden sich zogen bis ich mit der Schwester meiner Mutter in die Klinik konnte. Das Gespräch mit dem Arzt machte klar, wie schlimm es um sie stand. Aktuell versuchten sie ihr Herz in den Griff zu bekommen, lagerten sie auf dem Bauch und hofften, dass so die Lunge ein wenig Erleichterung erfuhr. Da die nächste Umlagerung anstand, durften wir kurz zu ihr. Kurz heißt kurz – nach einer Viertelstunde wurden wir wieder rausgebeten. Ich war fassungslos und kurz davor Amok zu laufen. Die Schwester bot mir zumindest an, noch einmal abends anzurufen, so gegen halb acht müsste es passen.


Ein Update für die Family und den engsten Freundeskreis, Gespräche und meine Methode seit Tag 1 der Diagnose, kilometerweites Laufen im Park ließen es Abend werden. Ich rief auf der Station an, mittlerweile wieder gewappnet und bereit zu kämpfen. Die Schwester vom Mittag war dran, ich verlor die Beherrschung, weinte, versuchte mich einzukriegen und halbwegs höflich, aber bestimmt zu sagen, wie scheiße das heute war und ob diese Viertelstunde ein schlechter Witz gewesen sei. Die Schwester hielt kurz inne – und entschuldigte sich. Es sei so hektisch gewesen, sie hatte mir gar nicht angeboten, dass ich ja auch hätte warten können. Ob ich in einer halben Stunde da sein könne, sie würde mich reinlassen bis zum nächsten Wechsel, wenn ich still und unauffällig sei. Ich hätte sie küssen können – gejubelt habe ich!

In Windeseile war ich wieder in der Klinik, bekam einen Stuhl und dann saß ich am Bett meiner Mam, die durch die Bauchlage beinahe nicht zu erkennen war. Ich sprach mit ihr, versuchte da zu sein und zu ihr durchzudringen, sie meine Angst nicht spüren zu lassen.


Die Schwester brachte mir einen ganz besonderen Fragenkatalog, den sie auf der Intensivstation entwickelt haben und fragte, ob ich diesen ausfüllen könnte. Es geht darum, wer dieser Mensch ist, der dort liegt und nicht für sich selbst sprechen kann; was er gerne riecht und was nicht, ob er Musik mag, wovor er sich fürchtet, ob er Berührungen mag, was ihm guttut, wie er genannt wird, wer aus seinem Umfeld wichtig ist, wie er sich verhält, wenn er sich fürchtet, was ihn glücklich macht und vieles mehr. Den Fragebogen habe ich mit Hingabe ausgefüllt, genauso wie ich bereits am nächsten Tag wie aufgetragen Fotos mitbrachte, die wir im Raum und am Bett befestigten. Fotos von der Familie, von Italien, von glücklichen Momenten, von schönen Dingen. Ich stellte der Schwester Mattie vor, einen Stoffaffen, der vom ersten Tag an mit in der Klinik war. Wir legten ihn in die Hand meiner Mutter, die zugriff und ihn hielt. Ich habe mich noch in der Nacht bei der Schwester entschuldigt und wir wurden ein super Team in den nächsten Wochen, die wir dort verbringen sollten.


Was ich allerdings auch am nächsten Tag erledigen musste, war der Gang zum Gericht, um eine vorläufige Betreuung für mich zu beantragen. Meine Mam hatte sich mit Händen und Füßen gegen eine Patientenverfügung oder ähnliches gewehrt und nun war es an mir als Tochter, die wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Ganz ehrlich: Vor dem Gericht saß ich im Auto und habe Rotz und Wasser geheult, genauso wie vor dem Richter, ich habe geflucht und mit meiner Mutter geschimpft, weil sie mir das angetan hatte und ich noch weitere Entscheidungen treffen sollte.

Spätestens jetzt war klar: Ich bin erwachsen und muss für meine Mam entscheiden und kann sie dabei nicht mehr um Rat fragen – unvorstellbar. Manchmal denke ich, dass sie uns in den acht Wochen, die wir auf Intensiv verbracht haben, vorbereitet hat auf ihre Abwesenheit, so dass wir uns entwöhnen konnten. Ein zweites Abnabeln, nur deutlich schmerzhafter, denn diejenige, die sonst das Zepter in der Hand hatte und uns alle scheuchte, war im Grunde schon lange verschwunden …


Warum erzähle ich das?

Weil ich weiß, wie schwierig das Thema Krankheit und Tod ist und wie wenig wir uns damit auseinandersetzen wollen.

Weil ich weiß, wie wichtig es ist, Vollmachten zu haben, Pin und Kennwörter zu wissen oder zu wissen, wo sie zu finden sind.

Weil ich weiß, wie wichtig Fotos sein können.

Weil ich weiß, wie wichtig Wissen ist, auch die vermeintlich banalen Dinge, wie bspw. der Lieblingsduft eines Menschen.

Weil ich weiß, wie wichtig (gemeinsame) Zeit ist.


Weil ich glaube, dass viele von euch ebenfalls schon solche Erfahrungen machen mussten oder Fragen zu solchen Situationen haben und ich finde, wir sollten darüber reden!


Sprecht miteinander, tauscht euch aus, beratet und wappnet euch. Im besten Falle brauchen wir all dies lange Zeit nicht. Aber wenn wir in einer solchen Situation sind, ist es ohnehin schon so unfassbar schwer, da wollt Ihr zumindest das Gefühl haben, dass Ihr es gut macht, die richtigen Entscheidungen trefft, für die richtigen Dinge eintretet und kämpft. Und weil es die kleinen Details sind, die auf einmal wichtig sind: Zitrusdüfte, gepflegte Nägel und Kuss-Kuss.


Vielleicht schreibt ihr mir ja – ich freue mich auf Eure Reaktionen. Nächste Woche gibt es dann tatsächlich den nächsten Rückblick – sozusagen lessons learned Teil II.


Bis dahin habt es fein, bleibt gesund und voller Vertrauen – Rock 'n' Roll & Ommm Michi

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